INTERNATIONALE KONFERENZ: ACROSS BORDERS. MUSEUMS ARTS & ALZHEIMER`S
Heike Roegler
Zur Konferenz
Die Einladung ins Lehmbruck Museum zur Konferenz "Across Borders" kam gleich auf mehreren beruflichen Wegen zu mir: über das Altonaer Museum und über das Projekt der Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz .
Sie fand im Rahmen des EU-Projekts MA&A – Museums Art und Alzheimer´s statt. Dessen Ziel ist "europäische Museumsexpertise zu vernetzen und gesammelte Erfahrungen zum Thema Kunst und Demenz über die Grenzen zu tragen."
Das klang interessant und ich habe dann auch einen inspirierenden Tag in Duisburg verbracht (Bahnfahrt inklusive). Vor allem die Teilnahme an den Workshops am Nachmittag hat Ideen gegeben und Spaß gemacht.
Partizipation von Anfang an
Mit Zugverspätung kam ich gerade noch pünktlich, um Peter Wißmanns (Demenz Support Stuttgart) Vortrag von Beginn an lauschen zu können.
Er setzt sich sehr dafür ein, Partizipation ernst zu nehmen. Es geht ihm dabei um die "Partizipation von Anfang an". In unserer Gesellschaft bedeute stattdessen das Betreuen von Menschen eher ein 'Handeln für' und weniger das 'Beteiligtsein an'.
Wißmann weiß aber auch, dass Partizipation ein Lernprozess ist. Der Weg ist für ihn klar:
"Nicht reden über, sondern reden mit!"
KuKuK
So arbeite auch "Demenz Support Stuttgart", und Wißmann stellte "Kunst, Kultur, Kreativität" (kurz KuKuK) vor – ein Projekt bei dem es darum geht "Artikulations- und Partizipationsformen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu finden und zugänglich zu machen."
Mir hat besonders gut KuKuK TV gefallen und ich kann allen nur empfehlen rein zu schauen.
Die CD REMINISZENZ
Eine spannende Zusammenarbeit gab es bei der Arbeit an der CD REMINISZENZ. Der Musiker (Rap) Matten Köster (Mein Name ist Nase) stellte sie zunächst mit dem Video "Ich bereue nichts" vor.
Auf der CD finden sich Geschichten und Erzählungen älterer und größtenteils kognitiv beeinträchtigter Menschen, die in Gesprächen entstanden und zu Songtexten weiterverarbeitet wurden.
Auch hier war Partizipation sehr wichtig. Es ist kein Song "über", sondern "mit" den Menschen entstanden.
Matten Köster, der Arbeit mit den größtenteils kognitiv beeinträchtigten Menschen von seiner Tätigkeit im Altenheim her kennt, bestätigt, dass das Werkeln am Song ein ganz anderes Arbeiten als im Altenheim war. Durch die Partizipation "war der Umgang miteinander einfach ein anderer." Matten Köster hat dabei die Songs in Textform gebracht, zurück gespielt und immer wieder angepasst.
In "Ich bereue nichts" geht es um die 1960er, die Liebe, das Reisen – einfach das, was das Leben ausmacht. Bitte unbedingt reinhören!
Gemeinsame Teilnahme an der Konferenz
Habe ich schon erwähnt, dass die älteren und größtenteils kognitiv beeinträchtigten Menschen, von denen hier immer wieder die Sprache ist, übrigens selbst an der Konferenz teilgenommen haben?
Das hat mich wirklich sehr beeindruckt.
So waren auch Künstlerinnen des Videos anwesend und konnten ihren verdienten Applaus entgegen nehmen.
Zwei Zitate (von kognitiv beeinträchtigten Menschen), die ich vom Podiumsgespräch zum "Offenen Atelier" des Lehmbruck Museums, das Sybille Kastner und M. Ganß vorgestellt haben, notiert habe, möchte ich stellvertretend in diesem Zusammenhang anführen:
"Es hat uns beiden gefallen, obwohl wir keine Ahnung von Kunst haben!" und "Ich freue mich, dass etwas passiert."
Ich finde, sie fassen sehr gut zusammen, worum es gehen sollte: Partizipation und Zugänge, die auf viele (sinnliche) Wege gefunden werden können, wenn man offen dafür ist.
Die Workshops
Kunst und Poesie
In dem Workshop "Kunst und Poesie" mit Cristina Bucci (Museo Marino Marini) wurden wir alle ganz praktisch zu Poeten. Ausgang unserer gemeinsamem Aktion war eine Skulptur des Künstlers Erwin Wurm, der zurzeit im Lehmbruck Museum ausgestellt ist. Ziel war es, sich die Kunst gemeinsam anzusehen und ein Gedicht auszudenken.
Bucci sieht in der Poesie ein Meme zur bildenden Kunst. Sie (die Poesie) braucht ebenso wenige Worte, um Emotionen zu provozieren und damit Wege zur Kommunikation zu öffnen.
Die Kunst dient nach Bucci also dazu, Bezüge herzustellen und Dialoge zu ermöglichen. Das Museum ist der Ort, sich dazu treffen.
Für die Arbeit mit kognitiv beeinträchtigten Menschen im Museo Marin Marini gibt es ein Team, das aus Vermittlern und Pflegern besteht, die ihre Kompetenzen gemeinsam einsetzen.
Wichtig für die Workshops bzw. Führungen für kognitiv beeinträchtigte Menschen ist für Bucci eine Willkommenskultur, die sich u.a. darin zeigt, dass zu Beginn alle gemeinsam im Kreis sitzen und zunächst einmal begrüßen.
Alles beginnt mit der Beobachtung: Was siehst du?
Wir waren aufgefordert, einzelne Wörter für die Skulptur zu finden.
Ziemlich schnell kam unsere Gruppe zu emotionalen Betrachtungen. Die einen haben Mitglied mit dem kopflosen Herren, die anderen schmunzelten noch über die Unentschlossenheit der Figur.
Bucci machte darauf aufmerksam, dass hier schon viele Dinge mit einer Frage zusammen kommen. Man kommt beim Beobachten mit sich selbst in Kontakt und teilt sich der Gruppe mit. Und genau dies ist der wesentliche Kern des Angebots im Museo Marini: Kunst ansehen und mit anderen teilen, was wir sehen und sie (die Anderen) dabei zu schätzen lernen.
Bucci sieht darin einen großen Vorteil, den Museen haben. Sie bieten Raum, Erfahrungen zu machen.
Die Idee der Poesie
Bucci hat die Methode im MoMA über das sehr bekannte Programm meetme kennen und schätzen gelernt.
Allerdings stelle sie auch mit einem leichten Lächeln fest, dass die amerikanische Anwendung eben auch sehr amerikanisch und nicht italienisch war. "Doesn't fit to us ;-)" Wir teilen wohl mehr einen reservierteren Weg der Kommunikation und es war nötig, die Methode passend zu machen, einen Weg zu finden, den die Besucher des Museo Marini gehen würden.
Sprache ist sehr dicht an bildender Kunst. Sie löst eher etwas aus, als dass sie nur beschreibt. Mit den Wörtern kommen Gefühle hoch und so ist es leicht mit Poesie zu assoziieren.
Einzelne Wörter
Als nächstes las uns Bucci ein Kurzgedicht vor. Das Gedicht war von Roberto Piumini. Das Gedicht L'alfabeto ist nach Buchstaben angeordnet und wir waren aufgefordert - ähnlich Piumini - ebenfalls Wörter nach Buchstaben zu finden. Auf diese Weise wurde spielerisch klar, wie einfach es sein kann, Wörter zu finden. Außerdem konnten wir quasi wären, woran die anderen dachten.
Hier eine kleine Sammlung unserer Wortssoziationen (in deutsch und englisch):
Mann, Stillstand, unvollständig, abgespalten , powerful, sportive, sweet, lebensvoll, Hampelmann, Anzug, Hubabuba, well dressed, handicaped
Ein kurzer Satz
Im nächsten Schritt waren wir aufgefordert kurze Sätze zu bilden:
Ein Tänzer ohne Herz und Hand
Soll ich den Schritt wagen?
Gehen in zwei Richtungen, (die) mehr oder weniger komplett sind
Das Leben ist unvollständig
Bei mir ist noch etwas lebendig
Ich verliere mich
Ich bin Single
Steppen ist meine Welt
Unvollständig aber schwungvoll
La vie en rose
Why not
Da fehlt noch etwas
Gefühl
Und schließlich wurde noch ein Wort für das Gefühl zur Skulptur gesucht:
Incomplete, offen, too noisy, still alive, little smile, soft swinging, frohgemut, "The show must go on", stark sein, "I am what I am", cheerfully, selbstbewusst
Zusammengesetzt ergaben alle unsere Wörter ein schönes und lustiges Gedicht, das ich, in übersetzen Form gerne noch posten werde (sobald ich es erhalten habe).
Music Movement Museum
In dem Workshop "Music Movement Museum" ebenfalls mit Cristina Bucci (Museo Marino Marini) ging es wieder um die Frage, wie kann Kunst helfen zu kommunizieren?
Das Thema "Tanz" ist nach Bucci ein großes Thema im Museo Marini, da Bewegung für den Künstler Marino Marini einfach essenziell für die Arbeit (an seinen Skulpturen) war.
Wie bereits bei dem Programm "Kunst und Poesie", gibt es ein Team, das für das Programm zuständig ist. Es besteht aus jeweils zwei Vermittlern und Pflegern und einem Musiker sowie einem Tänzer. Live Musik ist nach Bucci wichtig für die Interaktion.
Wesentlich für das Programm ist: Jede Bewegung trägt zur Choreografie bei.
Bucci beschrieb, dass die Teilnehmer auch hier wieder in einem Stuhlkreis im Sinne der Willkommenskultur zusammen kommen.
Für den Tanz ist es übrigens nicht erforderlich, laufen zu können. Auch Bewegungen im Rollstuhl sind möglich. Und jede Bewegung wird nach Bucci geschätzt.
Das Programm
Im folgenden gibt es eine kurze Beschreibung des Programmablaufs.
Das Vorstellen
Die Teilnehmer stellen sich gegenseitig mit einer Geste vor, die sie ausdrückt bzw. darstellt.
Das "Warmup" dient dazu, sich mit Bewegungen wohl fühlen und zeigt, wie wichtig es ist, dies mit anderen zu kommunizieren.
Die Choreografie
In dem Programm beginnt der Tänzer schließlich sich nach der Musik zu bewegen und alle folgen. Jeder macht es auf seine Art, egal wie einfach oder schwer die Bewegung zu sein scheint.
Als Hilfsmittel gibt es Stoffe aus Tüll u.a. Wichtig ist es nach Bucci, Raum zu entdecken und gewinnen.
Wer sich nicht bewegen möchte, kann Instrumente nutzen um teilzunehmen.
Vor der Kunst
Im Anschluss wird sich vor der Kunst bewegt. Dazu wird sie zunächst betrachtet, um dann gemeinsam eine Choreografie zu erstellen. Neben den Bewegungen, die der Tänzer bereits mitgebracht hatte, werden eigene Gesten zum Beschrieben der Kunst mit aufgenommen.
Das Museum
"It is an experience that we do inside the museum" - hier beschreibt Bucci zusammenfassend das wesentliche des Angebots: Es geht um eine Erfahrung, ein Gefühl, die im Museum entsteht.
Meine Bewegung vor Kunst
Natürlich haben wir uns auch in diesem Workshop selbst ausprobiert. In Ermangelung eines Musikers (der Rap fand zeitlich in einem anderen Workshop statt) haben wir für das Lehmbruck Museum einfach das dort nahe liegende genutzt, eine Tinguely Skulptur.
Nach kurzer Beobachtung der Bewegungen, haben wir selbst einzelne Elemente nachgemacht. Interessant war für mich zu beobachten, dass ich zwar eine Bewegung gesehen haben, die mir aber im Nachmachen nicht lag und ich eine neue Bewegung suchen musste.
In diesem Moment war ich völlig in meinen eigenen Beobachtungen und Bewegungen versunken.
Später haben wir uns in der Gruppe dann unsere Bewegungen vorgestellt und nachgemacht, also wieder kommuniziert.
Mein Fazit?
Mir haben die sinnlichen bzw. emotionalen Zugänge in den Workshops zunächst einmal selbst viel Spaß gemacht.
Die Erfahrungen, die man im Museum eben auch ohne Zahlen, Daten und Fakten machen kann, die Bezüge, die ich selbst in den Workshops gefunden habe, sind etwas, was meine Freude an der Arbeit des Vermitteln ausmacht.
Auf der Tagung ging es stets um Kunst, doch ich würde das gerne auf "Objekte" ausdehnen wollen, da ich in einem historischen Museum arbeite. Alltagsgegenstände ermöglichen sicherlich andere Assoziationen, doch ich sehe in der Art und Weise des Schaffens von Zugängen keinen wesentlichen Unterschied.
Auf zum Dichten und Tanzen!